Die Verfasserin Ruth Zbinden, langjährige Waldorflehrerin, erfüllte sich nach ihrer Pensionierung einen Traum: Eine Reise mit dem Frachtschiff nach Mittelamerika, wo sie mindestens ein Jahr unterwegs sein will. Im Mittelpunkt ihrer Reise steht die Mitarbeit in humanitären Projekten. In Lima trifft sie auf PRO HUMANUS und berichtet:
Der Anflug auf Lima – ich kam von Quito her in Ecuador – war beeindruckend: Links grüßte die Cordillera Blanca, die schneebedeckte Andenkette, und rechts der Pazifik.
Je näher wir Lima kamen, umso mehr deckte eine dicke Wolken- und Dunstdecke die Landschaft. hier ist nämlich Winter und somit ist es ganz grau an der Küste.
Am Boden erschreckte mich zunächst das Verkehrsgewimmel in der 12Mio-Stadt Lima und ich war froh über die Ruhe und Freundlichkeit meines Taxichauffeurs.
Touristen verbringen meistens nur eine Nacht in Lima, dann geht es weiter zu den berühmten Städten wie Nasca, Arequipa, Cusco und den Titicacsee. Ich hielt mich vier Wochen in Lima auf, weil ich bei der Stiftung PRO HUMANUS mithelfen wollte. Zwischen den Besuchen in den Projektdörfern wohnte ich in Miraflores, einem ruhigen Quartier am Meer. Die Kontraste kann man sich nicht größer denken! In den vornehmen Hochhäusern wohnen Menschen der dünnen Oberschicht, ein Luxusquartier, das auch in jeder europäischen Stadt stehen könnte.
Das Stadtzentrum ist weitläufig und alles andere als schön. Erschreckend sind dann die riesigen Außenbezirke, die pueblos jovenes, die sogenannten jungen Dörfer. Dort hausen Millionen von Menschen, die vom Land in die Stadt geflüchtet sind in der Hoffnung, dort ein besseres Leben führen zu können.
In dieser Riesenstadt begegnete ich dann drei tüchtigen Frauen: Bettina, die umtriebige Koordinatorin aus Deutschland, aber schon manches Jahr in Peru tätig, Rocío, die erfahrene Kindergärtnerin der Waldorfschule Lima sowie Lyggia, die künstlerisch begabte Klassenlehrerin und Gründungsmitglied der Michael-Schule in Lima.
PRO HUMANUS setzt dort an, wo die menschlichen Seelen am dringendsten Hilfe brauchen, wo Erziehung und Schulbildung nicht mehr stattfinden und wieder sichergestellt werden müssen. Aber es wird auch geholfen beim Bau von Häusern und es werden Medikamente verteilt.
Ein Beispiel für die Arbeit der Stiftung war das starke Erdbeben in El Carmen/Chincha, 200km südlich von Lima, im August 2007, das viele der aus einfachen Lehmziegeln gebauten Wohnungen einstürzen ließ. Im Dorf El Carmen leben vor allem in der Landwirtschaft tätige Familien, die arm sind und keine soziale und finanzielle Absicherung haben.
Viele Helfer aus aller Welt waren rasch zur Stelle, um behelfsmäßige Unterkünfte und Nahrung zu organisieren. Pro Humanus war auch dabei, sah aber die seelische Not der Menschen, besonders der Kinder. Die Schule funktionierte zwar bald wieder, konnte den Kindern aber kaum helfen, die Schrecken des Bebens zu verarbeiten. Da setzten die drei Frauen tatkräftig ein. Sie gründeten eine „escuela itinerante“, eine Wanderschule. Bepackt mit Musikinstrumenten, Bastelmaterial, Mal- und Zeichenstiften sowie Papier gingen sie in verschiedene Dörfer. Bettina lud die Kinder des Dorfes ein, indem sie Geige spielend durch das Dorf zog, worauf viele ihr folgten.
In El Carmen war die Arbeit besonders erfolgreich. Ich kam gerade zur rechten Zeit um mitzuerleben, wie nach monatelanger, regelmäßiger Arbeit eine Abschlussfeier vorbereitet wurde. Obwohl sich die 30 Kinder nur einmal pro Woche trafen, konnten sie einige einfache Lieder auf der Flöte spielen.
Sie haben Kasperlifiguren modelliert, angemalt und bekleidet und gruppenweise Theaterstücke eingeübt.
Sie haben auch viel gezeichnet und Geschichten geschrieben.
Auch den Eltern wurde geholfen, die sich Sorgen machten, ihren Kindern kein Spielzeug bieten zu können. So wurden anschließend an die Freitags-Schulstunden, beim Licht einer einzigen Glühbirne, Bälle, Wolltiere und sogar Puppen gestrickt und genäht.
Eindrücklich für mich war, dass die Frauen beim Abschlussgespräch hervorhoben, dass trotz des Erdbebens, das ihnen das Wenige, das sie besessen haben, geraubt hat, eine so reiche Arbeit entstanden ist.
Geplant ist nun, diese Arbeit in irgendeiner Form weiterzuführen, z.B. in einer Sommer-Ferien-Schule. Denn Ferien, wie wir das verstehen, kennen diese Familien natürlich nicht.
Groß war die Freude der Kinder und der anwesenden Eltern bei der Schlussfeier. Die Kinder haben sich gruppenweise in der vorhergehenden Woche zusammengefunden und die Theaterstücke vorbereitet. Diese handelten von Freundschaft, Freude und natürlich von der Liebe! Die
Samen für diese Liebe musste PRO HUMANUS nicht bringen, sie waren und sind in diesen Menschen vorhanden. Aber es wurde mitgeholfen, sie zum Wachsen und Blühen zu bringen.
In einer anderen Familie konnte ich ein weiteres Beispiel für die Hilfsaktionen von PRO HUMANUS miterleben. Hier ging es um den Einsatz auf der Kinderkrebsstation im Krankenhaus Rebagliati in Lima, den die Frauen seit einem Jahr leisten. Eine gewaltige Erschütterung durchfährt eine Familie, wenn einem Kind die Diagnose Krebs gestellt wird. Obschon auch in Peru die Heilungschancen recht groß sind, gilt es, eine sehr schwierige Zeit durchzustehen, geprägt von der Angst, das Kind früher oder später zu verlieren.
Im Krankenhaus Rebagliati liegen ungefähr 20 Kinder verschiedenen Alters. Am Bett eines jeden sitzt ein Familienmitglied. Den Erwachsenen fällt es aber oft noch schwerer mit der Krankheit
umzugehen als dem Kind.
Ein anthroposophischer Arzt, in Zusammenarbeit mit Onkologen, erkannte die Not dieser zutiefst aufgewühlten Menschen. Deswegen gehen Bettina und Lyggia einmal pro Woche in das Spital, bringen einige Kinder ins Spielzimmer, setzen sich ans Bett und lesen, erzählen, malen, zeichnen, musizieren, wie es dem Zustand des Patienten gerade entspricht.
So wird durch Kreativität Lebensfreude und normales Leben in den eintönigen Spitalalltag gebracht, der vor allem durch Chemotherapien geprägt ist.
Gespräche mit den Angehörigen sind möglich, denen das Lachen der Kinder wieder Hoffnung gibt. Andere Personen betreuen die Kranken an zwei weiteren Tagen. Bettina erzählte mir von einem sechs Monate alten blinden Säugling, der an einem Hirntumor leidet. Berührt vom
Klang der Violine begann das kleine Kind sich freudig zu bewegen und das Gesicht hellte sich auf. Die Mutter an seiner Seite war tief beeindruckt, wie dieses schwerstkranke Kind sichtlich bewegt war vom Klang der Musik. Eine Hoffnung erwacht, die über den irdischen Lebensweg hinaus geht.
Nicht jeder Mensch hat die Kraft wie meine drei Gesprächspartnerinnen, sich so aufopfernd über lange Zeit in den Dienst benachteiligter Menschen zu stellen. Ich bin aber überzeugt, dass auch mitfühlende Gedanken von uns allen helfen können, dass sie ihre Aufgabe fortführen können.
Und natürlich auch Spendengelder aus unseren so viel reicher ausgestatteten Heimatländern.