Bei Ihrer Reise durch Lateinamerika hat sich Ruth Zbinden zur Hauptaufgabe gestellt, einmal dort mit anzupacken wo das Allernötigste fehlt. Verbesserung der Bildungschancen für die indigene Bevölkerung – ein Thema, mit dem sie sich – wie PRO HUMANUS – auseinandersetzt, nach vielen Jahren Waldorfschule in der Schweiz mit all ihrem Wohlstand.
Das war die Motivation für ihre „Traumreise Lateinamerika“. Und so finden wir sie in ihrem neuen Bericht wieder im Hochland von Huancavelica auf ca. 3.500 m Höhe, wo die Stiftung PRO HUMANUS ein Bildungsprojekt erarbeitet.
Seit Jahrtausenden ist der lateinamerikanische Kontinent die Heimat vieler Völker, die heute noch eine reiche Kultur besitzen. Der gesunde Boden gibt Nahrung.
Vor 500 Jahren geschah das, was wir alle aus den Geschichtsbüchern kennen: Europäische Eroberer machten sich auf, nicht um neue Länder zu entdecken, sondern um sie zu erobern. Hier in Peru waren es die Spanier. Die Tempel der Ureinwohner wurden niedergerissen und auf deren Trümmern Kirchen erbaut. Rituale Objekte aus den Bodenschätzen wie Silber und Gold wurden eingeschmolzen und nach Europa gebracht. Am schlimmsten aber ist, dass diesen Menschen Sprache und Kultur verboten wurde. Sie wurden vergewaltigt, ermordet und zur Sklavenarbeit gezwungen.
Die Befreiung von den Spaniern 300 Jahre später hat den Mestizen (Mischlingen) und besonders den Weißen geholfen, nicht aber den Indigenas. Sie blieben geknechtete Menschen und sind es oft auch heute noch. Leider geht die Ausbeutung weiter, nur geschieht sie oft unter dem Deckmantel der „Entwicklung“. Reiche Bodenschätze wie Erdöl, Gas und Mineralien sowie Kaffee, Schokolade und Früchte werden weltweit gehandelt. Bei den Handelsunternehmen bleibt auch oft das große Geld stecken. Die Menschen, welche die harte Arbeit tun, leben weiterhin in sehr armen Verhältnissen und ohne jegliche soziale und finanzielle Absicherung. Meistens sind sie wegen mangelnder Schulbildung auch unfähig, sich dagegen zu wehren. Und das geschieht in Ländern, die von den Bodenschätzen und dem Klima her eigentlich die reichsten sein sollten.
So trifft es zu, dass theoretisch jedes Kind Zugang zum Schulwesen hat, aber in der Praxis sind die Indigenas immer noch stark benachteiligt. Oft müssen die Kinder auch mithelfen, für den Unterhalt der Familie zu sorgen.
ADECAP (Gem. zur Entwicklung der andinen Bevölkerung Perus) ist eine Organisation Indigenas, die sich dafür einsetzt, dass das Gesundheitswesen, die Landwirtschaft, das Rechtswesen und auch die Pädagogik in den vernachlässigten Regionen Hilfe erhalten. Eine tüchtige Frau, Amanta, fand den Weg zum Lehrerseminar der Waldorfschule in Lima. Sie trägt die erworbenen Kenntnisse bis in die entlegensten Dörfer und hat ein Projekt entwickelt mit einigen interessierten Lehrern. Sie wollen den Kindern durch die anthroposophische Pädagogik mehr Selbstvertrauen geben, ihre Kultur bewusst zu leben und gleichzeitig die Augen zu öffnen für die Welt. Denn langfristig kann nur geholfen und etwas verändert werden, wenn wir bei der Erziehung und Bildung der Kinder ansetzen. Die nächste Generation soll selbstbewusster zu ihren Wurzeln stehen können und für ihre Rechte gezielter kämpfen.
Die Frauen von PRO HUMANUS, die ich in Lima kennengelernt hatte, wurden auch hier um Hilfe gebeten. Wir kennen sie schon aus meinem letzten Artikel: Bettina, die umtriebige Koordinatorin aus Deutschland, aber schon manches Jahr in Peru tätig, Rocío, die erfahrene Kindergärtnerin der Waldorfschule Lima sowie Lyggia, die künstlerisch begabte Klassenlehrerin.
Mit Rocío war ich dann einige Tage in Atocc, einem sehr kleinen Dorf oberhalb Pampas, im rauhen Andenklima.
Seit gut einem Jahr erhält die Kindergärtnerin Hilfe und Anregung, wie der Alltag kindgerechter gestaltet werden kann.
Bettina und Lyggia waren in einem noch weiter entlegenen Dorf, wo sie in der Dorfschule halfen.
Ich konnte einen Elternabend miterleben, wie er für diese Bevölkerung ungewohnt war. Es wurde nicht von Waldorfpädagogik gesprochen und auch keine Schulgründung geplant, sondern anthroposophische Pädagogik als mensch- und kulturgerechte Ausbildung dargestellt.
Der Aussaat- und Erntetanz, den die Kinder am Vormittag freudig gemacht hatten, wurde mit den Eltern noch einmal getanzt. Dass die Kinder zum Teil auch dabei waren, Säuglinge auf den Rücken der Mütter schliefen und auch ein Hund zwischen unseren Beinen herumlief, gab dem Ganzen einen zukunftsfreudigen Glanz.
Wenn die „Weisheit des Menschen“ diesen Völkern hilft, wieder zu ihrer Identität stehen zu können, sich zu behaupten und aus den Trümmern dieses sehr langen Erdbebens neues Leben entsteht, ist wohl ein besonders erhabenes Ziel erreicht.
-Ruth Zbinden